In der letzten Ausgabe berichteten wir an dieser Stelle von der Darmstädter Esoterik-Messe. Dabei ging es um die rechten und rechtsradikalen Implikationen der Esoterik. Oftmals werden solche Gedanken in Verschwörungstheorien verpackt, welche den unbestreitbaren Vorteil besitzen, daß sie nicht zu widerlegen sind. Alle realen und irrealen Dinge können Bestandteil solcher Verschwörungstheorien werden. Ein aktuelles Beispiel: Für den Unfalltod von Prinzessin Diana wird in mehr als 35000 Internet-Seiten von Geheimdiensten über arabische Extremisten bis hin zum internationalen Blumenhändler-Komplott eine Unmenge an Tätern enttarnt.
Ein weiterer Vorteil von Verschwörungstheorien liegt in der monokausalen, vereinfachenden Darstellung von komplizierten gesellschaftlichen Zusammenhängen. Wenn die hochtechnisierte Wirklichkeit, aber auch komplexe chemische oder physikalische Vorgänge nicht mehr zu verstehen sind, suchen viele Menschen einfache Erklärungen. So werden hinter allen Ereignissen die Machenschaften kleiner, aber sehr mächtiger Verschwörergruppen gesehen. Mal sind es die Freimaurer, dann die Jesuiten, die Illuminaten, die Briten, das Echo, die 98er Fans, die Juden, der Vatikan, die Blumenhändler, die RAF oder alle zusammen oder ganz aktuell das MAI.
Das Unbehagen an der Moderne ergreift immer mehr Menschen und bestimmt deren Seelenlagen. Es ist zu befürchten, daß durch die bevorstehende Jahrtausendwende das Verschwörungsfieber weiter um sich greift und alle möglichen Unheilsprophezeiungen und Heilsversprechen Hochkonjunktur bekommen. Aus diesem Grunde wollen wir heute einmal etwas genauer darstellen, wie es zu solchen Wahnideen kommen kann und bereits gekommen ist. Es geht um die Entstehungsgeschichte der ``Protokolle der Weisen von Zion'', in denen die These von der großen jüdischen Weltverschwörung entwickelt wird. Diese These hatte im ``3.Reich'' den Rang einer wissenschaftlichen Tatsache und ist mitverantwortlich an den millionenfachen Morden. Sie war nicht nur fester Bestandteil des NSDAP-Programms, sondern auch und gerade offizielle deutsche Politik. Die ``Protokolle'' waren in der Weimarer Republik weit verbreitet; Adolf Hitler zitierte zustimmend daraus in ``Mein Kampf'' ebenso wie der Partei-Chefideologe Alfred Rosenberg.
In den ``Protokollen'' werden von angeblich 12 Ältesten der Stämme Israels Strategien besprochen, mit welchen geheimen Plänen die Juden das ganze Gold der Welt und schließlich die Welt selbst in ihren Besitz bringen wollen. So sei es Plan der Juden, sich mit Ariern zu vermischen, um rassisch minderwertige ``Bastarde'' zu zeugen. Der Adel und nichtjüdisches Kapital solle verführt werden, hohe Schulden zu machen, um darüber dann alle Wertpapierbörsen der Welt und den gesamten Welthandel zu kontrollieren.
Selbstverständlich würden die Juden auch die Kontrolle über Presse und Kirche anstreben. Ein wichtiger Teilerfolg sei gewesen, den Heiland der Christen zu kreuzigen. Ferner sollen die 12 Weisen von Zion geplant haben, die damals in manchen Ländern verbotene Mischehe zwischen Juden und Christen einzuführen, zumindest für Männer; jüdische Frauen sollten laut Plan rassisch rein bleiben müssen. Künstlich erzeugte Krisen und Warenverknappungen sollen zu Kriegen und Revolutionen führen, aus denen dann die Juden als Könige der Welt hervorgehen. In manchen Übersetzungen und Ausgaben wird behauptet, daß sich die Juden mit dem Teufel verbündet haben, um ihre Ziele zu erreichen. Die demokratischen Forderungen des Liberalismus, wie sie in der französischen Revolution zum Ausdruck kamen, werden unentwirrbar mit aristokratischen oder monarchistischen Politikkonzepten vermengt. Die Juden erscheinen in den Protokollen als Herrscher und als Revolutionäre zugleich.
Der Historiker Norman Cohn bezeichnet die Protokolle als ``Bevollmächtigung zum Völkermord''. Nachdem die Verbreitung der Protokolle bereits im zaristischen Rußland der Jahrhundertwende zu einigen Pogromen gegen die jüdische Minderheit geführt hatte, wurde 1922 die Ermordung Walter Rathenaus u. a. damit begründet, daß er als einer der Weisen von Zion enttarnt worden wäre.
Der eigentliche Schöpfer der meisten Formulierungen war der Franzose Maurice Joly und der hatte ganz anderes im Sinn. Sein Buch, betitelt ``Dialog in der Hölle'', erschien 1864 in Belgien, nachdem er in Frankreich keinen Drucker dafür gefunden hatte. Es war unterteilt in 25 satirische Dialoge, in denen sich Montesquieu und Machiavelli einen heftigen fiktiven Streit liefern. Das Buch klagte Kaiser Napoleon III. an, die in der französischen Revolution erkämpften Freiheiten wieder abzuschaffen. Während Montesquieu den Part des Verteidigers der bürgerlichen Freiheiten und humanistischen Werte sprach, verkündete Napoleon III. durch den Mund Machiavellis seine despotischen und zynischen Halbwahrheiten : Politik und Moral seien Gegensätze, Macht und Recht seien identisch. Wörtlich spricht er zu Montesquieu: ``Ihr Fehler ist, daß sie das Volk achten. Sie haben keine Ahnung, wie dumm es ist.''
Der damals weit über die Grenzen von Paris bekannte Rechtsanwalt Maurice Joli wollte mit seinem Buch das französische Volk aufrütteln und vor der Diktatur Napoleons III. warnen. Er wollte aufzeigen, wie leicht ein Diktator die Schwächen der Demokratie nutzen kann. In einer Wirtschaftskrise würde nur ein passender Feind gebraucht, gegen den das Volk aufzubringen sei, und gegen den ein Diktator dann als Retter in der Not auftreten könne. Kein Wunder, daß Joli in Frankreich keinen Drucker für derartiges fand, müßte dieser doch um sein Leben bangen. Kein Wunder, daß das Buch verboten und eingestampft wurde. Joly mußte zwei Jahre im Kerker verbringen und eine hohe Geldstrafe bezahlen; beruflich kam er nie wieder auf einen grünen Zweig.
Der deutsche antisemitische Autor Herrmann Goedsche muß dieses Buch gekannt haben. 1868 veröffentlichte er unter seinem Pseudonym ``Sir John Retcliffe'' den Roman ``Biarritz'', in dem über 160 Stellen direkt bei Maurice Joly abgeschrieben sind. Goedsche hatte Zugang zum preußischen Hof und gilt Literaturwissenschaftlern als Anhänger Bismarcks und der Monarchie. Der Titel seines Romans weist auf die Stadt Biarritz, die häufig von Bismarck und Napoleon III. besucht wurde. Beide standen für Goedsche im Rang von Helden, die die altehrwürdige Ordnung gegen die Angriffe des modernen Liberalismus und seiner Gleichmacherei verteidigten. Waren es bei Joly noch zwei sich streitende Kontrahenten, die in einer Satire die Diktatur entlarven sollten, werden bei Goedsche zwölf jüdische Stammväter daraus, die sich in wesentlichen Fragen einig sind. Er vermischt die fiktiven Aussagen von Montesquieu und Machiavelli, wobei die Aussagen Machiavellis einen noch größeren Stellenwert bekommen, als im Original bei Maurice Joly. Diese eigentümliche Mischung von politisch konträren Ansichten stellt für sich gesehen einen interessanten Mechanismus dar. Diese Mischung erlaubte z. B. den Nationalsozialisten, die Juden für den Kapitalismus genauso verantwortlich zu machen wie für die Oktoberrevolution 1917 in Rußland.
Obwohl all dies spätestens seit den 20er Jahren bekannt ist, werden die Protokolle bis heute aufgelegt und verbreitet. In den USA paradoxerweise vom Ku Klux Klan und der Sekte ``Black Muslims'' (!). Auch deutsche Autoren wie Jan van Helsing oder Rüggeberg greifen tief in die altbekannte Kiste des Judenhasses, um ihre Auflagen zu steigern.