Die Protokolle der Weisen von Zion


von Günter Mergel und Michael Enderlein

In der letzten Ausgabe berichteten wir an dieser Stelle von der Darmstädter Esoterik-Messe. Dabei ging es um die rechten und rechtsradikalen Implikationen der Esoterik. Oftmals werden solche Gedanken in Verschwörungstheorien verpackt, welche den unbestreitbaren Vorteil besitzen, daß sie nicht zu widerlegen sind. Alle realen und irrealen Dinge können Bestandteil solcher Verschwörungstheorien werden. Ein aktuelles Beispiel: Für den Unfalltod von Prinzessin Diana wird in mehr als 35000 Internet-Seiten von Geheimdiensten über arabische Extremisten bis hin zum internationalen Blumenhändler-Komplott eine Unmenge an Tätern enttarnt.

Steigen Verschwörer ab?

Ein weiterer Vorteil von Verschwörungstheorien liegt in der monokausalen, vereinfachenden Darstellung von komplizierten gesellschaftlichen Zusammenhängen. Wenn die hochtechnisierte Wirklichkeit, aber auch komplexe chemische oder physikalische Vorgänge nicht mehr zu verstehen sind, suchen viele Menschen einfache Erklärungen. So werden hinter allen Ereignissen die Machenschaften kleiner, aber sehr mächtiger Verschwörergruppen gesehen. Mal sind es die Freimaurer, dann die Jesuiten, die Illuminaten, die Briten, das Echo, die 98er Fans, die Juden, der Vatikan, die Blumenhändler, die RAF oder alle zusammen oder ganz aktuell das MAI.
Das Unbehagen an der Moderne ergreift immer mehr Menschen und bestimmt deren Seelenlagen. Es ist zu befürchten, daß durch die bevorstehende Jahrtausendwende das Verschwörungsfieber weiter um sich greift und alle möglichen Unheilsprophezeiungen und Heilsversprechen Hochkonjunktur bekommen. Aus diesem Grunde wollen wir heute einmal etwas genauer darstellen, wie es zu solchen Wahnideen kommen kann und bereits gekommen ist. Es geht um die Entstehungsgeschichte der ``Protokolle der Weisen von Zion'', in denen die These von der großen jüdischen Weltverschwörung entwickelt wird. Diese These hatte im ``3.Reich'' den Rang einer wissenschaftlichen Tatsache und ist mitverantwortlich an den millionenfachen Morden. Sie war nicht nur fester Bestandteil des NSDAP-Programms, sondern auch und gerade offizielle deutsche Politik. Die ``Protokolle'' waren in der Weimarer Republik weit verbreitet; Adolf Hitler zitierte zustimmend daraus in ``Mein Kampf'' ebenso wie der Partei-Chefideologe Alfred Rosenberg.
In den ``Protokollen'' werden von angeblich 12 Ältesten der Stämme Israels Strategien besprochen, mit welchen geheimen Plänen die Juden das ganze Gold der Welt und schließlich die Welt selbst in ihren Besitz bringen wollen. So sei es Plan der Juden, sich mit Ariern zu vermischen, um rassisch minderwertige ``Bastarde'' zu zeugen. Der Adel und nichtjüdisches Kapital solle verführt werden, hohe Schulden zu machen, um darüber dann alle Wertpapierbörsen der Welt und den gesamten Welthandel zu kontrollieren.
Selbstverständlich würden die Juden auch die Kontrolle über Presse und Kirche anstreben. Ein wichtiger Teilerfolg sei gewesen, den Heiland der Christen zu kreuzigen. Ferner sollen die 12 Weisen von Zion geplant haben, die damals in manchen Ländern verbotene Mischehe zwischen Juden und Christen einzuführen, zumindest für Männer; jüdische Frauen sollten laut Plan rassisch rein bleiben müssen. Künstlich erzeugte Krisen und Warenverknappungen sollen zu Kriegen und Revolutionen führen, aus denen dann die Juden als Könige der Welt hervorgehen. In manchen Übersetzungen und Ausgaben wird behauptet, daß sich die Juden mit dem Teufel verbündet haben, um ihre Ziele zu erreichen. Die demokratischen Forderungen des Liberalismus, wie sie in der französischen Revolution zum Ausdruck kamen, werden unentwirrbar mit aristokratischen oder monarchistischen Politikkonzepten vermengt. Die Juden erscheinen in den Protokollen als Herrscher und als Revolutionäre zugleich.
Der Historiker Norman Cohn bezeichnet die Protokolle als ``Bevollmächtigung zum Völkermord''. Nachdem die Verbreitung der Protokolle bereits im zaristischen Rußland der Jahrhundertwende zu einigen Pogromen gegen die jüdische Minderheit geführt hatte, wurde 1922 die Ermordung Walter Rathenaus u. a. damit begründet, daß er als einer der Weisen von Zion enttarnt worden wäre.

Dialog in der Hölle

Der eigentliche Schöpfer der meisten Formulierungen war der Franzose Maurice Joly und der hatte ganz anderes im Sinn. Sein Buch, betitelt ``Dialog in der Hölle'', erschien 1864 in Belgien, nachdem er in Frankreich keinen Drucker dafür gefunden hatte. Es war unterteilt in 25 satirische Dialoge, in denen sich Montesquieu und Machiavelli einen heftigen fiktiven Streit liefern. Das Buch klagte Kaiser Napoleon III. an, die in der französischen Revolution erkämpften Freiheiten wieder abzuschaffen. Während Montesquieu den Part des Verteidigers der bürgerlichen Freiheiten und humanistischen Werte sprach, verkündete Napoleon III. durch den Mund Machiavellis seine despotischen und zynischen Halbwahrheiten : Politik und Moral seien Gegensätze, Macht und Recht seien identisch. Wörtlich spricht er zu Montesquieu: ``Ihr Fehler ist, daß sie das Volk achten. Sie haben keine Ahnung, wie dumm es ist.''
Der damals weit über die Grenzen von Paris bekannte Rechtsanwalt Maurice Joli wollte mit seinem Buch das französische Volk aufrütteln und vor der Diktatur Napoleons III. warnen. Er wollte aufzeigen, wie leicht ein Diktator die Schwächen der Demokratie nutzen kann. In einer Wirtschaftskrise würde nur ein passender Feind gebraucht, gegen den das Volk aufzubringen sei, und gegen den ein Diktator dann als Retter in der Not auftreten könne. Kein Wunder, daß Joli in Frankreich keinen Drucker für derartiges fand, müßte dieser doch um sein Leben bangen. Kein Wunder, daß das Buch verboten und eingestampft wurde. Joly mußte zwei Jahre im Kerker verbringen und eine hohe Geldstrafe bezahlen; beruflich kam er nie wieder auf einen grünen Zweig.

Kapitalismus und Oktober-revolution: Schuld der Juden?

Der deutsche antisemitische Autor Herrmann Goedsche muß dieses Buch gekannt haben. 1868 veröffentlichte er unter seinem Pseudonym ``Sir John Retcliffe'' den Roman ``Biarritz'', in dem über 160 Stellen direkt bei Maurice Joly abgeschrieben sind. Goedsche hatte Zugang zum preußischen Hof und gilt Literaturwissenschaftlern als Anhänger Bismarcks und der Monarchie. Der Titel seines Romans weist auf die Stadt Biarritz, die häufig von Bismarck und Napoleon III. besucht wurde. Beide standen für Goedsche im Rang von Helden, die die altehrwürdige Ordnung gegen die Angriffe des modernen Liberalismus und seiner Gleichmacherei verteidigten. Waren es bei Joly noch zwei sich streitende Kontrahenten, die in einer Satire die Diktatur entlarven sollten, werden bei Goedsche zwölf jüdische Stammväter daraus, die sich in wesentlichen Fragen einig sind. Er vermischt die fiktiven Aussagen von Montesquieu und Machiavelli, wobei die Aussagen Machiavellis einen noch größeren Stellenwert bekommen, als im Original bei Maurice Joly. Diese eigentümliche Mischung von politisch konträren Ansichten stellt für sich gesehen einen interessanten Mechanismus dar. Diese Mischung erlaubte z. B. den Nationalsozialisten, die Juden für den Kapitalismus genauso verantwortlich zu machen wie für die Oktoberrevolution 1917 in Rußland.
Obwohl all dies spätestens seit den 20er Jahren bekannt ist, werden die Protokolle bis heute aufgelegt und verbreitet. In den USA paradoxerweise vom Ku Klux Klan und der Sekte ``Black Muslims'' (!). Auch deutsche Autoren wie Jan van Helsing oder Rüggeberg greifen tief in die altbekannte Kiste des Judenhasses, um ihre Auflagen zu steigern.

Der Antichrist kommt

Unter dem Titel ``Der bald herannahende Antichrist'' wurde 1905 eine russische Übersetzung von Sergej Nilus herausgegeben. Spätere Ausgaben erhielten den Zusatz, daß sich die Protokolle auf einen Vortrag von Theodor Herzl auf dem ersten Zionistenkongreß 1897 in Basel beziehen würden. Diese Version der Protokolle ist die bis heute am meisten verbreitetste. Herzl gilt als der theoretische Begründer des Zionismus, der nicht die angestrebte Weltherrschaft des Judentums zum Ziel hat, sondern fast das Gegenteil! Es geht wohl eher darum, die in der Welt verstreut lebenden Juden nach Palästina zu holen und dort zu vereinen. Einen weiteren Zusatz in den Protokollen haben wir Nilus zu verdanken: die Vermischung der Juden mit den Freimaurern, den Illuminaten, anderen Orden und Logen.
Die russische Intelligenz war damals liberal eingestellt und forderte demokratische Reformen vom Zarenhaus. Zuerst wurden die Protokolle dazu benutzt, die Unzufriedenheit großer Bevölkerungsgruppen mit der zaristischen Bürokratie gegen die angebliche weltweite jüdische Verschwörung zu richten. Nachdem ihre wahre Herkunft aufgedeckt werden konnte, wurden die Protokolle in Rußland offiziell verboten, um dann kurz vor und während der Oktoberrevolution eine Wiederbelebung durchzumachen. Die Konkurrenten Lenin und Kerenski wurden nun gleichermaßen als jüdische Agenten in die Protokolle eingebaut. Diese Versionen erfuhren weltweite Verbreitung in den englischsprachige Tageszeitungen TIMES und MORNING POST. 1920 erschienen die Protokolle in einer großen amerikanischen Tageszeitung, die Henry Ford gehörte. Die englische Times und Ford distanzierten sich später von ihren Veröffentlichungen, und v. a. die Times trug viel dazu bei, den wahren Charakter der Protokolle und deren Ursprung aufzudecken. In jedem Land wurden die Protokolle in den jeweiligen Vorworten anders interpretiert. So galten die Protokolle in den USA als Dokument der britischen Verschwörung, in England als deutsch-jüdische; in Frankreich als US-britische und in Japan wurde die jüdisch-freimaurerische Verschwörung für die Bedrohung aus China verantwortlich gemacht. Ab 1929 gehörten die alleinigen Rechte an dem Buch der Partei NSDAP, die etwa 40 Auflagen der Protokolle herausbrachte. Aus einem Vorwort von Theodor Fritsch: ``Eines aber ergibt sich als unabweisbare Forderung aus diesen ``Protokollen'' : Das Judentum darf nicht länger unter uns geduldet werden! Es ist eine Ehrenpflicht der gesitteten Nationen, dieses räudige Geschlecht auszuscheiden, da es schon durch seine Anwesenheit alles verpestet, die Völker geistig und seelisch krank macht, gleichsam die geistige Luft vergiftet, in der wir atmen... . Mit der Ausscheidung des Judentums würde mit einem Schlage ein Großteil der Übel verschwinden, an denen die Kulturvölker heute kranken. Die ``Protokolle'' enthalten ja die umfänglichsten Geständnisse, wie alle die Zeitnöte durch die dämonischen Machenschaften der Volks- und Staatsverwüster künstlich genährt und gezüchtet wurden.'' (Fritsch S. 76-77; Hervorhebung im Original)
Seit ihrem ersten Erscheinen wurden die Protokolle angezweifelt, auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersucht und bekämpft. Im Herbst 1934 kam es in Bern zu einem aufsehenerregenden Prozeß gegen die schweizerischen Herausgeber der Protokolle, nachdem die dortige jüdische Gemeinde Anzeige wegen Verstoßes gegen das Bernische Schundgesetz erstattete. Der Richter verhängte Geldstrafen und sagte in seinem Schlußwort: ``Ich hoffe, es werde eine Zeit kommen, in der kein Mensch mehr begreifen wird, wieso sich im Jahre 1935 beinahe ein Dutzend sonst ganz gescheiter und vernünftiger Leute vierzehn Tage lang vor einem bernischen Gericht über die Echtheit oder Unechtheit dieser sogenannten ``Protokolle'' die Köpfe zerbrechen konnten, die bei allem Schaden, den sie bereits gestiftet haben und noch stiften mögen, doch nichts anderes sind als ein lächerlicher Unsinn.''


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