|
ALBERTUS MAGNUS (ALBERT DER GROSSE)
(1193-1280)
Das 13. Jahrhundert war keineswegs eine „dunkle" Epoche des Mittelalters. Die Christenheit war geeinigt, und unter Führung der Kirche begründete die europäische Kultur eine gleichgeartete Gesellschaft mit gleichen Institutionen und Zielen. „Der höchste Priester", sagt Dante, „soll die Menschheit durch das geoffenbarte Wort zum ewigen Leben und der Kaiser soll sie durch weise Gesetze zu weltlichem Glück führen." Die Philosophie, wenn auch bestimmt durch das Dogma der Kirche, blühte wieder auf. Die Zeiten, in denen Philosophen als Magier verfolgt wurden, waren vergessen, und nun wurden mit ihren Bildern zum Zeichen der Verehrung die Portale der Kirchen geschmückt. Das Jahrhundert zeigt eine glanzvolle Reihe von Gelehrten wahrhaft universalen Wissens, Männer wie Wilhelm von Auvergne, Vinzenz von Beauvais, Thomas von Cantimpré, Bartholomäus von England, Robert Grosseteste, Roger Bacon, Raimundus Lullus, Thomas von Aquin und Albert den Großen, um nur einige der hervorragendsten zu nennen. Ihre Werke unterscheiden sich von denen früherer Zeit durch größere Gründlichkeit und durch Vermehrung der Sachgebiete. Diese Männer waren zwar nicht Magier im engeren Sinne des Wortes, aber sie interessierten sich für Magie; sie hielten sie für der Untersuchung wert, und einige von ihnen machten auch selbst magische Versuche. Die fromme Furcht vor den schwarzen Künsten, die früher als Teufelswerk gegolten hatten, bestand nicht mehr. Die List des Satans konnte - so meinte man jetzt — durch weise oder heilige Männer überwunden, ja seine Macht sogar zum Segen der Menschheit ausgenutzt werden. Hier mußte er eine Brücke, dort eine Burg bauen; die Chronisten schildern mit Vergnügen, wie seine Leistungen zuletzt schlecht belohnt wurden und die Sterblichen seinen gierigen Griffen durch allerlei spaßige Schliche entgingen. Die Zeit war jedoch tief religiös. Alle die oben genannten Gelehrten gehörten der Geistlichkeit an. Wilhelm von Auvergne war Bischof von Paris und Thomas von Cantimpré Lehrer der Dominikaner, die bei diesem neuen Aufblühen der Wissenschaft eine so wichtige Rolle spielten. Bartholomäus lehrte bei den Franziskanern, Grosseteste war Bischof von Lincoln; der Dominikaner Vinzenz von Beauvais war Hausprediger König Ludwigs IX., Thomas von Aquin, der große Lehrer und Verfasser der Summa Theologica, wurde mit 16 Jahren Dominikaner. Roger Bacon war Franziskaner. Albert, der 1932 heilig gesprochen wurde, war Bischof von Regensburg, und Raimundus Lullus starb als Märtyrer für seinen Glauben. Alle diese Männer waren treue Diener der Kirche, in deren Raum alte und neue Weisheit sich begegneten. Wie weit dieser Raum war, können wir aus dem Wandbild des Andrea da Firenze (? 14. Jh.; in Santa Maria Novella zu Florenz) erkennen, das uns Thomas von Aquin zeigt, wie er, auf einem Ruhmesthrone sitzend, auf seinen Knien die aufgeschlagene Bibel hält (Abb. 73). Rechts und links von ihm sehen wir die Vorkämpfer des Glaubens: Hiob, David, Paulus, die vier Evangelisten, Moses, Jesaja und den König Salomo. Darunter sitzen vierzehn weibliche Gestalten auf Chorstühlen; sie symbolisieren die theologischen Wissenschaften und die Freien Künste (artes liberales). Diesen zu Füßen sitzen berühmte Vertreter der Kunst und Wissenschaft: Kaiser Justinian, Papst Clemens IV., Petrus Lombardus, Dionysius Areopagita, Boethius, Johannes Damascenus und Augustinus als Vertreter der theologischen Fächer der Wissenschaft. Dann folgen Pythagoras, Euklid und Zoroaster (Astronomie), der biblische Thubalkain (Musik), Aristoteles, Cicero und der lateinische Grammatiker Priscianus. Die Männer des Glaubens sitzen hier friedlich mit den Weisen des Altertums zusammen und gestatten sogar dem angeblichen Erfinder der Magie, Zoroaster, Zutritt zu ihrem Kreise. Ein tieferes Verständnis der Vergangenheit und ein umfassenderer Begriff von Wissen haben diese neue Welt entstehen lassen, die, wenn auch nicht so universal wie die der früheren synkretistischen Religionen, so doch übersichtlich und in allen ihren Teilen klar verständlich ist. In den Schriften Alberts des Großen begegnen wir oft solchen Sätzen wie diesem: ,Ich habe dies nachgeprüft' oder ,Dies liegt außerhalb meiner Erfahrung' oder ,Ich habe nachgewiesen, daß dies nicht wahr ist'. Eine solche Haltung ist neu, sie zeigt, daß man den Autoritäten der Vergangenheit kritisch gegenüberstand. Man erkennt Alberts - relative - Objektivität, wenn er selbst seinen geliebten Aristoteles, die Säule der Scholastik, kritisiert. Oft erwähnt er Tatsachen und fügt hinzu, daß sie nicht genügend durch Erfahrung bewiesen seien, ,wenn man sie auch in den Schriften der Alten findet'. Aber diese Alten waren Philosophen, und es ist ja das Ziel der Philosophie, durch Beobachtung und Denken und nicht durch Experimentieren zur Wahrheit zu gelangen. Aber wenn Albert auch empfiehlt, Hypothesen aufzustellen und sie dann zu erproben, so ist doch auch er ein philosophischer Mensch. Seine Beweisführung ist gut; aber seine Versuche sind oberflächlich und seine Schlüsse oft falsch. Die Bedeutung Alberts für die Wissenschaft liegt mehr in seiner Einstellung als in seinen einzelnen Leistungen. Seine Beschreibung der den Kristallen innewohnenden Kräfte möge als Beispiel dienen: „Wenn man einen Kristall gegen die Sonne hält, kann man ein Feuer entzünden." Dies ist richtig, aber Albert vergißt, uns das Wichtigste zu sagen: daß nämlich der Kristall konvex sein muß. Er scheint zu glauben, daß es die kristalline Substanz sei, die das Wunder hervorbringt, und nicht die Brechung des Lichts. Aber zuweilen pflückt er auch eine echte Frucht vom Baume der Erkenntnis: „Der Vogel Strauß ißt und verdaut Eisen", sagen die Alten, worauf Albert einwendet, daß er Steine und nicht Eisen frißt; er hat dies selbst beobachtet. Eine scheinbar so bescheidene Beobachtung ist wichtiger, als man annehmen möchte. - Trotz Alberts kluger Bemerkung wurde der Strauß allerdings noch dreihundert Jahre später mit einem Hufeisen im Schnabel dargestellt. Ein Werk, das 1932, zu Ehren der Heiligsprechung Alberts, veröffentlicht wurde, enthält nichts über des Meisters Einstellung zur Magie. Einige Schriftsteller haben sogar bestritten, daß er sich überhaupt für Alchimie und Astrologie interessiert habe. In Alberts Abhandlungen finden sich jedoch zahlreiche Anspielungen auf die magischen Künste. Der Abt Trithemius von Sponheim (1462-1516) sagt, daß dieser „frömmste aller Heiligen" sich in der „natürlichen Magie" wohl ausgekannt habe, und er hält das keineswegs für strafbar: „Denn nicht das Wissen, sondern das Tun dessen, was böse ist, ist verwerflich." Es bleibt die Frage, wie man eine Kunst beherrschen kann, ohne sie auszuüben. Trithemius' Satz scheint der Schlüssel zum Verständnis für das Interesse der mittelalterlichen Gelehrten an der Magie zu sein: sie wollten das Böse kennenlernen, damit sie es erkennen und beurteilen könnten. Eine so große Wißbegierde zeigt aber auch, daß das verbotene Wissen sie mächtig anzog. Ob Alberts magische Versuche gut oder böse waren, hing von seinem Anliegen ab, und wir dürfen als sicher annehmen, daß seine Operationen nur von einem Ziel geleitet waren: dem der Erkenntnis. Albert zweifelt nie daran, daß magische Wunder zustande gebracht werden können. Freilich weiß er auch von Taschenspielerei und Täuschungen: die Menschen glauben Dinge zu sehen, die es gar nicht gibt. Zwar verführen auch böse Dämonen den Menschen durch Magie, was noch viel schlimmer ist als Augentäuschung. Aber es gibt auch nach Alberts Meinung eine natürliche Magie, die gut ist, und viel davon findet sich sowohl in den Schriften der Araber als auch in der hermetischen Literatur. Außerdem enthalten Pflanzen und Steine wunderbare Kräfte, über die die patristischen Schriften nichts sagen: die Betuine verleiht die Gabe des Wahrsagens; das Eisenkraut wird als Liebeszaubermittel gebraucht; Meropis öffnet die Meere, und viele andere Wunder können durch Pflanzen bewirkt werden, wie man bei Costa ben Luca und Hermes lesen kann. Es gibt auch magische Steine, die Heilkraft besitzen. In seinem Werke über die Mineralien (Ausgabe von 1518) spricht Albert ausführlich über diese verborgenen Kräfte der Steine. Über einige derartige Wunder hat er selbst Erfahrungen gesammelt. „Lapides preciosi praeter alios habent mirabiles virtutes" (Die Edelsteine haben vor anderen wunderwirkende Eigenschaften). Er zählt diese Eigenschaften genau auf: der Amethyst, der in Indien vorkommt, wirkt gegen Trunkenheit,wie schon Aaron sagt; er verhilft zu geistiger Wachheit und schlichtet Streitigkeiten; er fördert das Wissen und macht klug. - der Beryll ist ein Mittel gegen Faulheit; er mildert Leberschmerzen, vertreibt den Schluckauf und das Rülpsen und ist auch gut für tränende Augen. Wird ein runder Beryll gegen die Sonne gehalten, so entsteht Feuer; auch soll er den Hausfrieden wahren helfen. - der Smaragd ist von keuscher Art. Um festzustellen, ob ein Mädchen keusch ist, wird ein Trank verschrieben, der Smaragdsplitter enthält; wenn das Mädchen keusch ist, wird es den Trank bei sich behalten, wenn nicht, wird es sich übergeben. Man sagt auch, daß der Smaragd den Reichtum seines Besitzers vermehrt und daß er einem vor Gericht hilft, wirkungsvolle Worte zu finden. An einer Halskette getragen, heilt er die Epilepsie. - der Achat kommt in Libyen und Britannien vor. Er kräftigt die Zähne, vertreibt Trugbilder und Melancholie und ist gut bei Magenschmerzen. Schlangen fliehen vor ihm. All dies versichert Albert mit Nachdruck, und er sieht offenbar gar nicht, daß dies reine Magie ist, wie sie ebenso auch von den Chaldäern, Ägyptern und Persern angewandt wurde. In derselben Abhandlung gibt er auch an, daß gravierte Edelsteine geheimnisvolle Kräfte besitzen, vor allem solche, die die Natur ohne menschliche Hilfe gebildet hat. Solche Anschauungen führten zur Herstellung von Talismanen, magischen Bildern, Münzen und Zeichen, die ihren Besitzer schützen sollten. Und alle diese wunderbaren Eigenschaften kommen von den Gestirnen her, denn nach Aristoteles bestimmen die Himmelskörper, was auf der Erde geschieht. Mit diesem Glauben verrät sich Albert als Astrologe. Wiederholt versichert er, daß die Gestirne Dinge und Menschen beeinflussen, und erkennt damit deren Macht über die Erde an; sie erweist sich in den Wundern, die er so gerne aufzählt. Sie bilden auch die Grundlage aller Wahrsagekünste; denn wer die Schriftzüge der Gestirne an einem Körper zu lesen versteht, kann sein Schicksal vorausberechnen. Ob es die Linien in der Hand oder auf der Stirn sind, die Adern eines Blattes, die Bildung von Hirschgeweihen, die Form eines Steines, dies alles sind „Physiognomien", die von den Planeten geformt worden sind. Die Frage, ob Albert Alchimist gewesen ist, muß ebenfalls bejaht werden. Wie sein Schüler Thomas von Aquin glaubte auch er, daß die Alchimie eine zwar schwierige, aber echte Kunst sei. Bei seinen chemischen Versuchen war er weniger durch philosophische Spekulationen gehemmt, vielleicht weil die frühen Griechen noch nichts von Alchimie wußten. Er beschreibt seine Versuche sehr genau und zeigt dabei originelle Ideen. Von den zahlreichen Schriften, die er hinterlassen hat, ist seine alchimistische Abhandlung vielleicht die beste. In dem Buche über die Mineralien hat er an alchimistischen Theorien viel auszusetzen, und manchmal scheint er fast ein Gegner der hermetischen Kunst zu sein. Aber in seiner Abhandlung Über die Alchimie, die wahrscheinlich authentisch ist, setzt er sich für alchimistische Operationen ein und glaubt fest, daß Gold künstlich hergestellt werden kann. Seinen alchimistischen Freunden empfiehlt er in diesem Buche folgendes: „der Alchimist muß still und verschwiegen sein. Er sollte keinem etwas über die Ergebnisse seiner Arbeit erzählen. Er soll überhaupt einsam und zurückgezogen leben. In seinem Hause sollten zwei oder drei Räume ausschließlich für seine Arbeit bestimmt sein. Er soll die richtige Stunde für seine Versuche wählen", was wohl bedeutet, daß die günstige Gestirnstunde abgewartet werden soll. „Er muß Geduld und Ausdauer besitzen. Er soll in dieser Reihenfolge verfahren: zerreiben, sublimieren, fixieren, lösen, destillieren, gerinnen lassen. Er soll nur Glas- oder glasierte Tongefäße dabei benutzen. Er muß reich genug sein, um die Ausgaben für solche Arbeiten bestreiten zu können. Und endlich muß er alle Verbindung mit Fürsten und Herrschern meiden." Albert wußte, daß die hermetische Kunst eine Quelle ständiger Gefahr für den Alchimisten darstellte: Nachbarn etwa könnten einem Fürsten über einen erfolgreichen Versuch berichten, und wenn der Fürst erst einmal von dem Gold des Philosophen wüßte, wäre der Wundertäter verloren - wie dies später bei Alexander Sethon und anderen auch der Fall war. Albert sagt uns nicht, ob er selbst Gold gemacht hat. Die Überlieferung will wissen, daß er den berühmten Stein besaß und andere wunderbare Dinge vollbringen konnte. Als Graf Wilhelm II. von Holland mit ihm zu Köln speiste, ließ Albert den Tisch im Klostergarten decken, obwohl es mitten im Winter war. Als die Gäste ankamen, fanden sie einen schneebedeckten Tisch vor. Als sie sich aber gesetzt hatten, verschwand der Schnee, und der Garten füllte sich mit duftenden Blumen. Die Vögel flogen umher wie im Sommer, und die Bäume standen in voller Blüte. Die Legende hat später einem weniger gottesfürchtigen Mann dieselbe Zauberkunst zugeschrieben — Doktor Faust. Aber dieser zauberte seine Winterblumen nicht durch natürliche Magie wie Albert, sondern durch die schwarze Magie unter Mithilfe des Teufels! In zeitgenössischen Schriften wird auch versichert, Albert habe einen Automaten gebaut, den Androïden. Er besaß die Gestalt eines Menschen, dessen einzelne Teile unter dem Einfluß eines bestimmten Sterns geschmiedet worden waren. Der Androïd war Alberts Diener. Er konnte sprechen, und zwar so viel, daß sein Wortschwall den fleißigen Thomas von Aquin störte, so daß er die Maschine vernichtete. Gab es wirklich einen solchen Automaten, und wenn ja, wie sah er aus? Eliphas Levi, der große Okkultist des letzten Jahrhunderts, hat geistreich bemerkt, daß der Androïd gleichsam ein Symbol für Alberts scholastische Systematik gewesen sei: menschlich von Gestalt, doch ein künstliches "Wesen, das wohl durch einen Mechanismus bewegt wurde, aber nicht lebendig war. |
Quelle: Das Weltreich der Magie;© 1948 by Panheon Books Inc., New York;R. Löwit GmbH Wiesbaden; bjfe jadu 2001 |
© Copyright 2001 by JADU